LESENswertes


Orientierungsfahrten im ganzen Land

aus der Bauernstimme 01/2020

Es war jahrelang ziemlich ruhig bei den Ackerbauern im Land, sie säten und pflegten und ernteten ihre Feldfrüchte, die Agrarpolitik überließen die meisten aber den Vertretern und Mitarbeitern vom Bauernverband. Lediglich die Milchbauern sind vor über 10 Jahren aus diesem System ausgebrochen und haben öffentlich kund getan, was die Zukunft ihrer Höfe gefährdet.

 

Doch mit den seit Jahren aufgeschobenen Neuordnungen bei Düngung und Spritzmitteleinsatz, die nun in kürzester Zeit umgesetzt werden sollen, sehen viele Bauern aus allen Produktionsrichtungen eine Existenzgefahr für ihre Höfe. Was bis dahin aus Sicht sehr vieler Bauern einfach nur richtig und gut war, steht jetzt in Frage. Das ist es, was sie den Gesprächen zufolge zu Hunderten auf die Straße treibt, bei der ersten Großdemonstration Ende Oktober deutschlandweit sogar zu Tausenden. Dazu kommt ein Gefühl von Geringschätzung in der Gesellschaft, dass viele von ihnen beklagen und es auf Plakaten öffentlich machen.

 

Aber kann es denn ein ‚weiter so’ in der Breite der Landwirtschaft geben, nachdem an vielen Stellen die Auswirkungen von intensivem Düngen und Spritzen immer deutlicher zu Tage treten? Reflexartig kommt der Hinweis, nicht nur Landwirtschaft würde sich schädlich auf die Insektenpopulation und das Grundwasser auswirken, sondern auch Klimawandel und Lichtverschmutzung den Insekten zusetzen und marode Kanalsysteme dem Grundwasser schaden. Es kann gut sein sein, dass auch dieses zur Verschlechterung der Zustände beiträgt, damit ist aber die Notwendigkeit von Veränderungen in der Landbewirtschaftung nicht vom Tisch. Einfach das ausgehandelte Agrarpaket ablehnen und die Umweltpolitik der Regierung als Todesstoß für die deutsche Landwirtschaft zu verteufeln ist kein Lösungsansatz, sondern lediglich der Wutausdruck, der zusammengefasst auf einer Demonstration gut auf Plakate passt.

 

Der DBV hat sich der Entwicklung zukunftsweisender Lösungsansätze zu den drängenden Problemen in den letzten Jahren verweigert. Wo bleiben die Forderungen und konkreten Lösungsansätze, derer , die deutschlandweit in sozialen Netzwerken – miteinander im Austausch sind? Klar, dieser Zusammenschluss ist noch keine 2 Monate alt und schon heftig mit Richtungsstreit konfrontiert gewesen, aber das darf eine Zielorientierung über das ‚dagegen’ hinaus nicht ausblenden. Bisher ist aber der Tenor in den Diskussionen, dass erstmal die Beschränkungen vermieden werden müssen, bevor es an Vorschläge für eine andere Landbewirtschaftung geht. Sich aber nur gegen die Umweltministerin und einige NGOs einzuschwören, wird in kurzer Zeit an Wirkung verlieren, wenn Medien daran ihr Interesse verlieren. Vor allem aber wird die Gesellschaft sich nicht auf die Bauern zubewegen, wenn sie von den Bauern nur ein trotziges „Wollen wir nicht“ hört.

 

Es ist für die vernetzen Bauern doch jetzt die Zeit, über die verschiedenen Vorschläge und Ideen einer veränderten Landwirtschaft im 21. Jahrhundert offen zu diskutieren und abseits des industrieorientierten Bauernverbandes neu zu denken. Wer traut sich, mit dem Belobigungssystem für mengemassige Bestleistungen endlich mal aufzuräumen? Wann bekommt die Bäuerin mit den meisten Feldhasen auf den Wiesen und der Ackerbauer mit den meisten seltenen Unkräutern auf dem Acker den Lorbeerkranz umgehangen? Bisher waren immer die dem System: „Wachsen oder Weichen“ dienlichen Faktoren die entscheidenden, ob jemand heraus gestellt wurde, oder in der Masse blieb.

Bernd Schmitz, AbL-Landesvorsitzender NRW

 

Eine noch junge Bewegung muss sich anders orientieren und neue Wege finden, statt ausgetrampelten Pfaden weiter blind nachzulaufen und endlich Honorierung von positiven Veränderungen in der Landwirtschaft einfordern. Beispielsweise den Verzicht auf Totalherbizide endlich finanziell unterstützen, um den Wettbewerbsnachteil gegenüber Anwendern auszugleichen. Für die verschiedenen Handelsabkommen der EU einen konkreten Vorschlag fordern, mit dem die notwendigen hohen sozialen und Umweltanforderungen, die für heimische Landwirte eingeführt werden, auch im internationalen Handel mit Agrargütern und Lebensmitteln verbindlich durchgesetzt werden (qualifizierter Marktzugang).

Gemeinsam sollten wir als Bäuerinnen und Bauern eine umfassende Nutztierstrategie und eine klare und anspruchsvolle Zielsetzung für Umwelt-, Klima- und Artenschutz im Ackerbau für die kommenden 10 bis 20 Jahre im breiten Konsens von der Bundesregierung fordern.

 

 


Der kritische Agrarbericht 2018

Schwerpunkt: "Globalisierung gestalten"

„Globalisierung gestalten“ lautet der Schwerpunkt des diesjährigen Kritischen Agrarberichts, mit dem die Autoren die politischen Gestaltungsspielräume für eine nachhaltige Landwirtschaft ausloten. Problemfeldern der aktuellen agrarpolitischen Debatte, wie z. B. steigende Kohlendioxidemissionen, eine wieder ansteigende Zahl der hungernden Menschen und der dramatische Rückgang der Insektenpopulationen setzen die Autoren in ihren Artikeln eine andere Ausrichtung der Agrarpolitik entgegen und diskutieren unter anderem folgende Fragen: Brauchen wir globalisierte Agrarmärkte? Wie lässt sich die internationale Handelspolitik für Agrargüter fair, sozial, tierschutzkonform und ökologisch gestalten? Wie sind die Fusionen von Großkonzernen wie Bayer und Monsanto aus kartell- und wettbewerbsrechtlicher Sicht zu bewerten? Welche Wege führen aus dem enormen Futtermittelbedarf aus Übersee einerseits und der Exportorientierung der deutschen Landwirtschaft andererseits? Wie erreichen auch wir im Norden Ernährungssouveränität und wie lässt sich die regionale Versorgung von Städten und Regionen mit Lebensmitteln stärken? ... und vieles mehr...

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